Was siehst du?

Was du siehst: Eine Frau auf dem Ergometer. Guckt bissl mürrisch. “Bei Ihnen alles okay?” Ah, jetzt lächelt sie. 

Was ich sehe: Ein Mann mit Maske, der auf mich zukommt. Hilfe, lass mich bitte in Ruhe. Bitte nicht ansprechen. Aaaah, er spricht. Schnell, antworten und lächeln.

 

Was du siehst: Eine Frau auf der Beinpresse, die zwar ganz nett aussieht, aber keineswegs nett guckt. Sie kneift ihre Augen zusammen und runzelt die Stirn. Vielleicht hat sie heute einen schlechten Tag.

Was ich sehe: Oh Mann, muss das Licht hier so grell sein? Mir wird ganz schwummrig davon. Ach, ich versuch es zu ignorieren. Ich schaff das schon. Einfach weiter machen. Hui, kommt der Schwindel jetzt von der Anstrengung oder vom Licht? Na, wenigstens haben die hier ne gute Lüftung, so dass sich kein Gefühl des Erstickens ausbreitet.

 

Was du siehst: Eine Frau im Stadion der Regionalliga. Schaut sich etwas angestrengt das Spiel an. Trägt Sonnenbrille - klar Sonne scheint ja - und ne Sonnenmütze - im Oktober bei 15 Grad. Seltsam. Und sie macht so komische Bewegungen. Wieso kreist sie ihre Hüfte? Und reibt sich ständig im Nacken?

Was ich sehe: Ah, puh, zum Glück ein Platz im Schatten. Ah, sitzen ist gut. Ständig stehen ist ja auch nix. Mist, ich hab heute so starke Rückenschmerzen, die ich in Nacken und Kopf ziehen und in Übelkeit übergehen, dass ich doch lieber wieder aufstehe. Ein paar Stufen höher. Da stehe ich niemandem im Weg. Oh nein, hier scheint mir die Sonne direkt auf den Hinterkopf. Das vertrag ich nicht. Naja, ein bisschen kann ich es versuchen. Ist doch die Herbstsonne. Kann doch nicht so schlimm sein. Hm, mal kurz die Sonnenbrille abnehmen. Waaaah, nein, schnell wieder aufsetzen. Jetzt reicht es mir auch mit der Sonne auf den Kopf. Wozu hab ich meine Mütze denn mitgenommen? Hoffentlich schaut mich keiner schräg an. Einfach viel atmen. Lächeln. Ich komm hier sicher wieder heile raus.

 

Was du siehst: Eine Frau, die ihren Sohn bei der Eingewöhnung in den Kindergarten begleitet. Hat nen komischen Ball in der Hand und knetet den dauernd. Hat rote Flecken im Gesicht und am Hals. Schaut etwas seltsam drein. Läuft auf und ab und verschwindet irgendwann aus dem Gebäude, um vor dem Kindergarten weiter auf und ab zu laufen.

Was ich sehe: Erschöpft komme ich um 8:30 Uhr beim Kindergarten an. Der Morgen war anstrengend. Nein, nicht das Kind. Nur der Morgen. Die Gegebenheiten. Ich war aufgeregt, nervös. Herzklopfen bis zum geht nicht mehr. Nach dem Desaster bei der Kindergarten-Anmeldung, möchte ich nun nicht mehr auffallen (tu ich das nicht eh schon :-D ). Statt der Over-Ear-Kopfhörer setze ich mir die In-Ear in die Ohren und werfe meine kurze Haarpracht darüber, damit sie keiner sehen kann. Es war ja nur abgesprochen, dass ich die auffälligen Kopfhörer nicht aufsetze…öhem…Ich atme meinen Beruhigungsduft ein und meine Hand wandert in meine Rocktasche, um den Igelball zu ertasten. Gut, alles im Lot.