"Du Arme!"

"Du Arme!", haut mein Mann gestern raus als ich ihm meine Lage, meine Symptome, die Unberechenbarkeit, die Kuriosität erkläre, dass es mir in ein und dem selben Laden am selben Tag, aber mit einer Stunde Unterschied komplett verschieden ging.

Beim ersten Besuch des Ladens bin ich rein, um mich aufzuwärmen. Da es mir ansonsten gut ging, nutzte ich die Gelegenheit etwas einzukaufen, damit mein Mann das später nicht mehr erledigen muss. Dank Ausschilderungen und Selbstbedienungskasse lief alles reibungslos ab.

Der zweite Besuch war eine Stunde später. Wir sind zusammen rein, weil uns noch was einfiel, das wir brauchen könnten. In der Zwischenzeit ist viel passiert: Wir waren ein ganzes Stück spazieren, ich hab verschiedene Gefühle durchlebt, ich war leicht hungrig, draußen war es bereits dunkel. Ich bin freiwillig mit in den Laden. Beim ersten Mal lief ja alles glatt. Dieses Mal war alles anders. Das Licht im Laden war mir viel zu grell - vor allem die Lichtintensität, wenn man aus der Dunkelheit kommt. Außerdem war mir nach der Bewegung viel zu warm und es waren gefühlt mehr Menschen - vor allem im engen Eingangsbereich. Ich wurde angerempelt und um mich rum nur Geplapper und Leute, die sich gegenseitig im Weg standen.

"Du Arme!", erwidert mein Mann als ich ihm auf dem Weg zurück zum Auto erkläre, warum ich den Laden mal wieder vorzeitig verlassen musste: Unwohlsein, Schwindel, Hitzewallungen, Beklemmungen. Und dass es kurioserweise beim ersten Besuch nicht so war.

"Du Arme!", gab mir dann aber zu denken. Ich bin nicht arm! Ich bin eben wie ich bin! Ich brauche kein Mitleid. Höchstens Empathie und Mitgefühl oder eben einfach ein offenes Ohr. Ich bin mitteilungsbedürftig und tausche mich gern aus. Arm bin ich nicht. Vieles hätte ich nicht erlebt, wäre ich nicht so wie ich bin. Und da war auch viel Gutes dabei. Viele tolle Menschen hätte ich nicht kennengelernt. Meine Neurodivergenzen machen mich zu dem Menschen, der ich bin. Ich habe gelernt mit mir zu leben und bin fein mit mir.